Schreiben an Ministerpräsident Volker Bouffier und Kai Klose

Hessische Musikverbände

Ministerpräsident Volker Bouffier
Hessische Staatskanzlei
Georg-August-Zinn-Straße 1
65183 Wiesbaden

10. März 2021

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Volker Bouffier,
sehr geehrter Herr Minister Kai Klose,

in Hessen gibt es über eine Million Menschen jeden Alters, die leidenschaftlich gemeinsam in Chören und Orchestern der Amateurmusik musizieren. Diese Ensembles sind essentielle Stütze des zivilgesellschaftlichen Engagements, kulturellen Schaffens und wichtige Sozialisationsinstanzen. Als Orte der Zusammenkunft tragen sie zum demokratischen Austausch und gesellschaftlichen Zusammenhalt bei.

Seit mittlerweile einem ganzen Jahr ist der reguläre Proben- und Konzertbetrieb aus medizinisch nachvollziehbaren Gründen massiv eingeschränkt, was eine enorme Einschränkung aller Mitglieder bedeutet. Wir versuchen den Zusammenhalt in unseren Ensembles und Vereinen auf Distanz mit enormen Mühen aufrecht zu erhalten. Hierfür werden ungezählte ehrenamtliche Stunden investiert, weil wir unsere Ensembles und Vereine am Leben erhalten möchten, um auch langfristig ein in vielen Orten (insbesondere im ländlichen Raum, aber auch in städtischen Brennpunkten) niederschwelliges kulturelles Angebot zu erhalten.

Im letzten Sommer war dies durch Konzepte wie gemeinsames Proben im Freien unter effektiven Hygienevorkehrungen möglich, die das Infektionsgeschehen nicht signifikant beeinflusst haben, doch auch dies ist uns mittlerweile untersagt.

Mit Unverständnis lesen wir nun Ihre Auslegung von § 1 Abs. 2b CoKoBeV im Wortlaut:
“Es wird davon ausgegangen, dass ein besonderes öffentliches Interesse für Chorproben nicht besteht; Chor- und Orchesterproben, die nicht beruflich bedingt sind und für die deshalb kein öffentliches Interesse besteht, dürfen daher aktuell nicht stattfinden. Umfasst sind alle Zusammenkünfte zum Musizieren [...].“

Die Chor- und Orchester-Szene in Hessen ist vielfältig und momentan nur aus Gründen des Infektionsschutzes nicht in Präsenz aktiv. Dies ist allerdings nicht mit “fehlendem öffentlichen Interesse” von über einem Sechstel der Hessischen Bevölkerung gleichzusetzen, sondern mit unserer Vernunft und unserem gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein. Aber offensichtlich waren unsere zahlreichen Mitglieder (bewusst) zu leise, weshalb ihre Bedeutung von Ihrer Seite auf fatale Weise falsch gedeutet wurde.

Die Amateurmusik trägt seit Jahren zum Zusammenhalt in der Gesellschaft bei, ist essentieller Bestandteil außerschulischer Bildung, sie ist Stätte des multikulturellen Austauschs, fördert (wissenschaftlich vielfach erwiesen) Gesundheit, erhöht die Lebensqualität, schafft Freundschaften und Zusammenhalt und ist Teil der Identität zahlreicher, insbesondere junger Menschen in Hessen. Ähnliche Begründungen wurden von ihrer Seite für die Erlaubnis zur Wiederaufnahme des Amateursportbetriebs herangezogen.

Wir erwarten deshalb vom Land Hessen eine Gleichbehandlung von Amateurmusik und Amateursport.
Musikproben und -konzerte können mit effektiven Hygienemaßnamen ebenso im Freien stattfinden, wie sportliche Aktivitäten.

Eine Vernachlässigung der Amateurmusik von Ihrer Seite resultiert in existentiellen Problemen, die unsere Ensembles und Vereine aufgrund der langen Ruhephase haben. Einen Chor oder ein Orchester gibt es (noch) in nahezu jedem Dorf. Und das ist wichtig, denn gemäß des Sprichwortes braucht es ein ganzes Dorf (inklusive Musikensembles) um ein Kind - in diesem Fall sehr viele Kinder - großzuziehen.

Einem unterstellten fehlenden öffentlichen Interesse an Amateurmusik widersprechen wir hiermit vehement und fordern von Ihnen die Gleichbehandlung von Amateursport und Amateurmusik.

Mit freundlichen Grüßen

Unterschriften der Musikverbände

 

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